Ulbricht nach Chruschtschow an der Berliner Mauer (1961)

Im September 1961 Ostdeutscher Führer Walter Ulbricht schrieb an den sowjetischen Führer Nikita ChruschtschowNachdenken über die Folgen des Aufstellens der Berliner Mauer:

„Mit der Schließung der Grenze um Westberlin haben wir Folgendes erreicht:

1. Der Schutz der DDR vor der Organisation eines Bürgerkriegs und militärischen Provokationen aus Westberlin.

2. Die Einstellung der wirtschaftlichen und kulturellen Untergrabung der Hauptstadt der DDR durch den Westberliner Sumpf.

3. Eine Änderung der politischen Situation wird eintreten. Die Bonner Regierung hat verstanden, dass die Politik der Revanchierung und der Plan, die DDR durch die Organisation eines Bürgerkriegs und eines kleinen Krieges zurückzudrängen, für alle Zeiten zerstört wurde. Dies wird später große Auswirkungen auf die Taktik der Westmächte in Bezug auf Polen und die Tschechoslowakei haben.

4. Die durch die Toleranz gegenüber den subversiven Maßnahmen aus Westberlin geschwächte Autorität des DDR-Staates wurde gestärkt und das Denken der Bevölkerung in der Hauptstadt und der DDR revolutioniert.

Die Erfahrungen der letzten Jahre haben gezeigt, dass es einem sozialistischen Land wie der DDR nicht möglich ist, einen friedlichen Wettbewerb mit einem imperialistischen Land wie Westdeutschland mit offenen Grenzen zu führen. Solche Möglichkeiten ergeben sich erst, wenn das sozialistische Weltsystem die kapitalistischen Länder bei der Pro-Kopf-Produktion übertroffen hat. Der Gegner versuchte, unsere Verteidigungsmaßnahmen mit einem Schrei über die Teilung Deutschlands zu beantworten. Der Versuch, durch chauvinistische Propaganda und die Verwendung des Slogans „Recht auf Selbstbestimmung“ Schwierigkeiten für uns hervorzurufen, schlug fehl, weil große Bevölkerungsgruppen lange Zeit geglaubt hatten, es könne nicht weiter so weitergehen, wie es war…

In Westberlin selbst sind die Grenzgebiete öde geworden. Viele Geschäfte und Kinos sind geschlossen, viele Mitglieder der Bourgeoisie ziehen nach Westdeutschland. Inzwischen gibt es in Westberlin viele Villen zum Verkauf. Der neue Aspekt der Situation ist, dass West-Berlin seine Rolle als Schaufenster des kapitalistischen Westens beendet hat und auch weiterhin nur teilweise als Zentrum der Subversion fungieren wird. Ferner wurde klargestellt, dass durch die Regelung der Nutzung der Transitrouten der DDR nach West-Berlin dieser Teil der Stadt den Schwierigkeiten nicht entgehen wird. Westberlin kann sich nur auf der Grundlage normaler Beziehungen zur DDR entwickeln.

Bisher erhielt West-Berlin von den USA und der Bonner Bundesregierung jährlich rund 1.5-Millionen-Mark-Zuschüsse. Hinzu kommen die vielen Gebäude, die mit Geldern aus den USA und Bonn gebaut wurden. Der Westberliner Senat fordert von Bonn zusätzlich eine weitere Milliarde Mark Zuschuss pro Jahr. Daraus wird deutlich, wie viel Westberlin auf Kosten der DDR gelebt hat.

Nach der Schließung der Grenze war in der DDR-Hauptstadt plötzlich auch abends noch genügend Fleisch von bester Qualität vorhanden, während es vor allem am Wochenende bereits gegen Mittag ausverkauft war. Wir haben auch keine Probleme mehr mit Brot oder Butter in der Hauptstadt. Sogar die Frauen sind zufrieden, dass sie jetzt zum Friseur gehen können, da die großen Friseursalons bisher von Westberlinerinnen besetzt waren…

Das Wichtigste ist wirtschaftlich, um die DDR-Wirtschaft bis zum 1. Dezember vor Subversion zu schützen. Es wird die internationalen Gespräche erleichtern, wenn die Bonner Regierung weiß, dass wir auf mögliche Blockademaßnahmen gut vorbereitet sind, dass solche Maßnahmen uns viel weniger betreffen als Westberlin…

Ich wünsche Ihnen gute Gesundheit und bleibe mit kommunistischen Grüßen aufrichtig bei Ihnen. “

W. Ulbricht